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«Nothing about us without us»

Ausgabe Nr. 125
Nov. 2019
Betroffene einbeziehen

Betroffene. Im Rahmen der Massnahme «Selbstmanagement-Förderung bei nicht übertragbaren Krankheiten, Sucht und psychischen Erkrankungen» wurde ein Betroffenen-Angehörigen-Rat ins Leben gerufen, der die weitere Umsetzung begleiten wird. Ganz nach dem Motto «Nothing about us without us».

Am 18. Juni 2019 fand im BAG in Bern eine besondere Sitzung statt. Erstmals wurden die Mitglieder des Betroffenen-Angehörigen-Rats (BAR) begrüsst, insgesamt sieben Personen, darunter Anna Troelsen, Kauffrau, die mit 14 Jahren die Diagnose juvenile idiopathische Arthritis erhielt, eine schwere Rheumaerkrankung. Seither ist sie auf der Suche nach der richtigen Behandlung. Zudem leidet sie an einer Skoliose und an einer cortisonbedingten Osteoporose (siehe dazu auch ihren Forumsbeitrag auf ­Seite 2). Oder Martin Stucky, der als Kind fremdplatziert wurde und später eine Borderline-Persön­lichkeitsstörung entwickelte (siehe Interview auf Seite 6). Die sieben Mitglieder des Rats haben unterschiedliche Wege hinter sich, aber gemeinsam haben sie, dass sie entweder selbst von einer Erkrankung be­troffen sind oder als Angehörige ent­sprechende Erfahrungen durch­­­leben. Das BAG hat sie eingeladen, um im Rahmen des Projekts Selbstmanagement-Förderung bei nicht übertragbaren Krankheiten, Sucht und psychischen Erkrankungen (siehe Box) ihre Sichtweisen, ihre Erfahrungen als Betroffene und Angehörige einzubringen. Die sieben Personen decken die Themen nicht übertragbare und psychische Erkrankungen sowie Sucht ab.

Nadine Stoffel-Kurt, Projektleiterin im BAG sowie Mitinitiatorin des BAR, über diese erste Sitzung: «Die Motivation und Bereitschaft aller war sehr gross und die Diskussion vielfältig und für alle bereichernd. Wir haben uns bei unserer Arbeit am bekannten Slogan ‹Nothing about us without us› orientiert.» Der Slogan zeige auf, dass man sich als Fachperson auf Augenhöhe begeben soll und nicht die Expertentheorie ohne Experten aus der Praxis umsetzen solle.

Bislang sind solche Einbezüge im BAG nicht die Regel. Das hat verschiedene Gründe. Einerseits ist es nicht immer einfach, Betroffene zu finden, andererseits arbeitet das BAG auch traditionell eher mit den Gesundheitsligen und Verbänden zusammen als mit einzelnen Direktbetroffenen. Zudem bedeuten solche Prozesse oft Mehraufwand, der durchaus beträchtlich sein kann: Personen müssen rekrutiert werden, der Austausch zwischen den Akteuren muss sichergestellt werden, die Betreuung eines solchen Gremiums ist zeitintensiv.

Trotzdem lohnt sich der Aufwand. «Ja klar, lohnt sich das», so Stoffel-Kurt, «die Intervention soll ja wirksam sein und muss dementsprechend zielgruppenadaptiert sein. Wir Fachleute profitieren von einer anderen, vielleicht bisher unbekannten Perspektive.» Die Mitglieder des BAR wiederum profitieren davon, dass sie konkrete Verbesserungen anbringen und ihre Erfahrungen Fachpersonen mitgeben können.

Was gilt es beim Einbezug von Betroffenen zu berücksichtigen? «Wichtig ist, dass die Betroffenen eine Anerkennung erhalten, dass sie zum Beispiel für die Teilnahme an Sitzungen mit einem Sitzungsgeld entschädigt werden.» Fachleute vertreten ihre Institutionen und bringen sich im Rahmen ihrer Arbeit in die Gremien ein – und werden von ihrem Auftraggeber dafür entschädigt. Bei Betroffenen und Angehörigen ist das meist nicht der Fall. Sie bringen sich aus persönlichem Engagement ein und leisten ihre Arbeit in der Freizeit. «Daher ist das Entgelt eine wichtige Wertschätzung ihrer Arbeit.» 

Mitarbeit auf Augenhöhe

Das Selbstmanagement von kranken Personen und ihren Angehörigen zu stärken, ist eine Massnahme aus der NCD-Strategie.Die Massnahme soll in drei Schritten umgesetzt werden. Zunächst wurde ein Referenzrahmen erstellt, der ein gemeinsames konzeptionelles Vorgehen und Verständnis unter den Akteuren fördern soll. In einem zweiten Schritt wurde eine Stakeholderplattform ins Leben gerufen, die den Austausch unter den Akteuren sicherstellen soll. Im Rahmen dieser Arbeiten wurde klar, dass der Einbezug von Betroffenen und Angehörigen ein zentrales Anliegen ist, damit die Plattform SELF ihre Aufgaben wahrnehmen kann. Im Bereich Selbstmanagement-Förderung ist die Umsetzung von Massnahmen (Schritt 3) ohne den Einbezug von Betroffenen und Angehörigen undenkbar. Entsprechend wurde die Vorbereitungen zur Gründung des BAR an die Hand genommen. Organisatorisch ist der Rat auf Augenhöhe mit dem Kernteam angeordnet (operationelle Ebene). Er hat die gleichen Befugnisse und Aufgaben wie das Kernteam. Dazu gehören Erstellen der Jahresplanung, Konzeption der Plattform-Veranstaltung und Kommunikationsmittel etc. Um den Austausch zwischen Kernteam und BAR sicherzustellen, vertritt eine Person aus dem BAR die Inputs im Kernteam. Und als wichtiges Zeichen für die Partizipation hat eine Person aus dem BAR auch Einsitz in die Steuergruppe, also in die oberste Steuerungsebene der Plattform. Diese Organisation ist ganz frisch und ein erster Schritt zu mehr Einbezug von Betroffenen und Angehörigen. Die Erfahrung wird zeigen, welche Anpassungen es braucht.

Kontakt

Nadine Stoffel-Kurt
Sektion Prävention in der Gesundheitsversorgung

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